Das Schuldverschreibungsgesetz von 2009 – Gläubiger zwischen Aktivierung und Schutzbedarf

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Das Recht der Schuldverschreibungen wurde von dem Gesetzgeber im August 2009 umfassend reformiert und am Maßstab internationaler Standards aktualisiert. Im Kern erweitert das neue Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) von 2009 die Möglichkeiten der Gläubiger, Restrukturierungsbeiträge zu leisten.

Reform des Schuldverschreibungsgesetz

24.03.2011

Das Recht der Schuldverschreibungen wurde von dem Gesetzgeber im August 2009 umfassend reformiert und am Maßstab internationaler Standards aktualisiert. Im Kern erweitert das neue Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) von 2009 die Möglichkeiten der Gläubiger, Restrukturierungsbeiträge zu leisten. Beispielsweise sind nun Teilverzichte auf die Stammforderung (sog. „Haircut“, § 5 Abs. 3 Nr. 3 SchVG 2009) oder die Umwandlung der Schuldverschreibung in Gesellschaftsanteile (sog. „Debt-Equity-Swap“, § 3 Abs. 3 Nr. 5 SchVG 2009) zulässig.

Neu geregelt wurde auch die Tätigkeit des gemeinsamen Vertreters, dem künftig   erhebliche Bedeutung zukommen wird. Dies führt zu einer Stärkung der Gläubigerrechte, erleichtert es dem Schuldnerunternehmen aber auch, Sanierungsbeiträge zu vereinbaren.

Anwendungsbereich

1.         Anwendbarkeit auf Gesamtemissionen auch ausländische Emittenten

Das SchVG 2009 findet auf „nach deutschem Recht begebene inhaltsgleiche Gesamtemissionen (Schuldverschreibungen)“ Anwendung, wobei die Einschränkungen des Abs. 2 (Pfandbriefe, öffentliche Schuldner) zu beachten sind. Der Anwendungsbereich ist also nicht auf deutsche Emittenten beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf  Emissionen ausländischer Emittenten, die deutschem Recht unterliegen. Dies ist von hoher praktischer Bedeutung. Denn regelmäßig emittieren ausländische Finanzierungsgesellschaften (beispielsweise aus den Niederlanden) Schuldverschreibungen, die von dem zugehörigen und wirtschaftlich begünstigten Konzern garantiert werden. Hierauf kommt es nun nicht mehr an, maßgeblich ist allein das gewählte Recht.

Als eine Gesamtemission gelten alle Schuldverschreibungen, die durch eine (Sammel)-Urkunde verbrieft sind. Es handelt sich mithin auch dann um eine einheitliche Gesamtemission, wenn die Schuldverschreibung in verschiedenen Tranchen zeitlich gestaffelt ausgegeben wird.

2.         Anwendbarkeit auf Genussrechte denkbar

Da das Gesetz selbst den Begriff der Anleihe vermeidet, muss erneut die Frage aufgeworfen werden, ob das SchVG 2009 nicht auf Genussrechte angewendet werden kann. Zum alten SchVG von 1899 hatte das OLG Frankfurt am Main (Beschl. v. 28.4.2006 – 20 W 158/06, WM 2007, 828) dies abgelehnt, weil dessen Wortlaut noch Schuldverschreibungen „mit im Voraus bestimmten Nennwerten“ voraussetzte, die dortigen Genussscheine aber gewinnabhängig rückzahlbar waren. Dieses Urteil wird unter neuem Recht als überholt angesehen (Lorenz/Pospiech, DB 2009, 2419).

3.         Fakultative Anwendbarkeit auf Altschuldverschreibungen

Um die Möglichkeiten des SchVG 2009 auch den Gläubigern von nach altem Recht emittierten Schuldverschreibungen zu eröffnen, sieht § 24 Abs. 2 SchVG 2009 die Möglichkeit eines „Opt-in“-Beschlusses vor. Hiermit können die Gläubiger mit Zustimmung des Schuldners die vor August 2009 emittierte Schuldverschreibung dem neuen Recht unterwerfen. Der Beschluss ergeht nach den Vorschriften des SchVG 2009.

Kritisch zu beurteilen ist die gelegentlich zu beobachtende Praxis, dass „Opt-in“-Beschlüsse parallel zu den vorgesehenen Änderungsbeschlüssen der Anleihebedingungen vorbereitet und gefasst werden. Hiergegen spricht bereits das gesetzliche Erfordernis eines „Opt-in“-Beschlusses selbst. Wenn dieser gleichzeitig mit anderen Bedingungsänderungen erfolgen dürfte, stellt sich die Frage, wozu es dann überhaupt eines „Opt-in“-Beschlusses bedarf. Ihren Willen zur Bedingungsänderung bringen die Gläubiger ja ohnehin zum Ausdruck. Technisch korrekt muss vielmehr zunächst ein „Opt-in“-Beschluss gefasst und durch Urkunden-/Bedingungsänderung umgesetzt werden, bevor auf dieser bereiteten Grundlage Änderungen unter dem SchVG 2009 angegangen werden können. Dies ergibt sich auch ausdrücklich aus § 2 S. 3 SchVG 2009, wonach Änderungen des Urkundeninhalts oder der Anleihebedingungen – auch hinsichtlich des anwendbaren temporalen Rechts – erst wirksam werden, wenn sie in der Urkunde oder den Anleihebedingungen vollzogen sind. Dies geschieht im Regelfall der Sammelurkunde, indem der in der Niederschrift dokumentierte Beschlussinhalt an die Wertpapiersammelbank übermittelt wird, um diese Dokumente den vorhandenen Dokumenten beizufügen, § 21 Abs. 1 SchVG 2009.

Handlungsoptionen der Gläubiger

1.         Änderung der Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss

Änderungen der Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss setzten voraus, dass die Bedingungen diese Möglichkeit vorsehen. § 5 Abs. 3 SchVG 2009 stellt verschiedene Änderungen nicht abschließend vor. Die Beschlüsse setzen grundsätzlich eine einfache Mehrheit, bei wesentlichen Änderungen eine qualifizierte Mehrheit von mindesten 75 % der Stimmen voraus. Die Anleihebedingungen können aber auch höhere Zustimmungsquoten vorsehen.

Neben der Gläubigerversammlung in Präsenz ist auch eine Gläubigerabstimmung ohne Versammlung möglich (§ 18 SchVG), soweit dies in den Anleihebedingungen  vorgesehen ist. Dies kann erheblichen Aufwand ersparen und überdies mögliche Anfechtungsgründe beschränken. Gleichwohl wird gegenwärtig von der Möglichkeit einer Gläubigerbeschlussfassung ohne Präsenz kaum Gebrauch gemacht. Dies wohl auch deshalb, weil das Management der Schuldner hofft, sein Anliegen im persönlichen Kontakt besser kommunizieren zu können.

            2.         Beschlussfassung der Gläubiger

Eine Beschlussfassung der Gläubiger setzt deren Beschlussfähigkeit voraus. Hierzu müssen die Anwesenden mindestens die Hälfte des offenen Nominalbetrags ausmachen. Ist dies nicht der Fall, kann eine zweite Versammlung zur erneuten Beschlussfassung einberufen werden, die grundsätzlich beschlussfähig ist (disponibel).

Nicht angängig erscheint die in diesem Zusammenhang anzutreffende Praxis, gleichsam prophylaktisch mit der Einberufung der Erstversammlung auch zu der Folgeversammlung einzuladen, die dann wenige Stunden nach der Erstversammlung stattfinden soll. Dies entspricht offensichtlich nicht dem Willen des Gesetzgebers. Denn dieser beschreibt die Einberufung, und nicht die Durchführung einer Folgeversammlung als mögliche Reaktion des Versammlungsleiters auf die in der Erstversammlung festgestellte Beschlussunfähigkeit. Der Gesetzestext (§ 15 Abs. 3 SchVG 2009) und auch die -begründung verwenden ausdrücklich den formalen Begriff der Einberufung (BT-Drucks. 16/12814, S. 23). Denn der erneuten Einberufungsfrist kommt eine Schutzfunktion zugunsten der Anleihegläubiger zu und soll vor einer erleichterten Beschlussfassung warnen. Dass tatsächlich eine zeitlich abgestuftes Verfahren, und nicht ein Parallellauf der Einberufungsfristen gemeint war, ging plastischer aus § 11 Abs. 5 SchVG von 1899 hervor, wonach der Schuldner erst „alsbald“ eine neue Gesellschafterversammlung einzuberufen hatte. Dass der Gesetzgeber auf dieses klarstellende Wort verzichtete, ist bedauerlich, ändert aber nichts an dem Gesetzeswortlaut, wonach nach festgestellter Beschlussunfähigkeit ein neues Einberufungsverfahren durchzuführen ist.

3.         Bestellung eines gemeinsamen Vertreters

Ein gemeinsamer Vertreter kann bereits in den Bedingungen der Schuldverschreibung bestimmt – was aufgrund des langfristigen Horizonts der Kapitalbindung nicht immer sinnvoll sein wird – oder während der Laufzeit durch die Gläubigerversammlung eingesetzt werden. § 7 Abs. 1 SchVG 2009 wirkt der Gefahr eines Interessenkonflikts bei Nominierung eines dem Schuldner nahestehenden Vertreters durch die Verpflichtung zur Information entgegen. Bei einer Bestellung bereits in den Anleihebedingungen scheidet die Bestellung von Organmitgliedern oder Angestellten des Schuldners jedenfalls aus.

Auch bei der Definition der Aufgaben und Befugnisse des gemeinsamen Vertreters hat die Gläubigerversammlung weiten Spielraum. Er kann von dem Schuldnerunternehmen Auskünfte verlangen, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Dabei haftet der gemeinsame Vertreter den Gläubigern für eine ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben. Haftungsmaßstab ist die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters.

Die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters ist auch für das Schuldnerunternehmen vorteilhaft. Denn durch ihn können die Kommunikation mit den Gläubigern kanalisiert und Entscheidungszeiträume verkürzt werden. Praktisch ungeklärt ist noch in die Frage, wie weit die Auskunftsrechte des gemeinsamen Vertreters gehen. Weil klug gestellte Fragen einer Einwirkung und Teilnahme an dem Restrukturierungsprozess gleichkommen, ist Konfliktpotential hier vorprogrammiert. Das verständliche Geheimhaltungsinteresse des Schuldners darf dabei nicht überbewertet werden. Denn es sind die Gläubiger, die Verzichte leisten sollen und dadurch stets elementarer Teil des Restrukturierungsprozesses sind. Da Restrukturierungsmaßnahmen aufeinander aufbauen und in ihrer Wirksamkeit voneinander abhängig sind, haben die Gläubiger ein schutzwürdiges Interesse daran, umfassend über die weiteren Sanierungsbeiträge und den Fortgang der hierauf gerichteten Anstrengungen informiert zu werden. Dass hierbei das Augenmaß des gemeinsamen Vertreters erforderlich ist, um nicht durch Übereifer dem Gläubigerinteresse einen Bärendienst zu erweisen, versteht sich von selbst.

Anstatt einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen, benennen Schuldner zuweilen einen Kandidaten, den die Gläubiger auf Kosten des Schuldners mit ihrer Vertretung beauftragen können. Die so erzielte Kostensenkung kann sich gemeinsam mit der zumindest theoretisch engeren Kontrolle des Vertreters als für die Gläubiger vorteilhaft darstellen. Auch wenn dieser Individualvertreter dem jeweiligen Gläubiger gegenüber weisungsgebunden ist, löst diese Vorgehensweise doch faktisch den Verdacht des gemäß § 6 Abs. 2 SchVG 2009 untersagten Stimmenkaufs aus.

Beschlussanfechtung

Die Möglichkeit der Gläubiger, Rechtsänderungen nunmehr mit Kollektivwirkung qua Mehrheit zu erzwingen, löst reflexhaft die Assoziation zu der aktienrechtlichen Beschlusskontrolle aus. Auch § 20 SchVG 2009 ermöglicht die Anfechtung von Gläubigerbeschlüssen. Wie im Aktienrecht bewirkt die Anfechtungsklage bis auf weiteres eine Vollzugssperre, § 20 Abs. 3 SchVG 2009. Doch können die aktienrechtlichen Regeln nicht unmittelbar dem Schuldverschreibungsrecht übergestülpt werden (vgl. Maier-Reimer, NJW 2010, 1317).

Das SchVG 2009 enthält keine Vorschriften über die Nichtigkeit von Beschlüssen. Gleichwohl müssen an schwerwiegenden Fehlern leidende Beschlüsse auch nichtig sein (Baums, ZBB 2009, 1, 4). Eine unmittelbare Anwendung der Nichtigkeitsgründe des § 241 AktG kommt aber aufgrund der unterschiedlichen Regelungsmaterie und Interessenlage nicht in Betracht. Gleichermaßen sind die Gründe für eine Nichtigkeit von Beschlüssen der Gläubigerversammlung aber auch unter dem Regime des SchVG aus dem Gedanken des Minderheitenschutzes zu entwickeln. Denn diese haben auf die Fortgeltung der ursprünglichen Bedingungen vertraut und eine schutzwürdige Eigentumsposition erlangt.

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