EuGH stärkt Verbraucherrechte beim Rücktritt von Lebens- und Rentenversicherungen

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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilte im Dezember 2019 zu den Aktenzeichen C-355/18 – C-357/18 und C-479/18, dass Lebensversicherer auch im Falle eines durch den Versicherungsnehmer erklärten Rücktritts nicht nur zur Auszahlung des Rückkaufswertes verpflichtet sind, sondern auch die gesamten geleisteten Beiträge abzüglich eines Wertes für den genossenen Versicherungsschutz an den Versicherungsnehmer zu zahlen haben.
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Inhalt

Hintergrund

Zur rechtlichen Grundlage und den Vorteilen der Rückabwicklung von Lebens- und Rentenversicherungen berichteten wir bereits in unseren vorherigen Artikeln. Der Rücktritt steht dabei einem Widerruf bzw. einem Widerspruch in der rechtlichen Wirkung gleich und führt ebenso zur Rückabwicklung bzw. Rückgängigmachung des Versicherungsvertrags.

Das Besondere dieses Urteils ergibt sich jedoch daraus, dass es bis dahin keine einheitliche Regelung darüber gab, welche Summe ein Lebensversicherer im Falle eines Rücktritts an den Versicherungsnehmer zu zahlen hat. Viele Versicherer zahlten in diesen Fällen lediglich den Rückkaufswert, den der Versicherungsnehmer ebenso im Falle einer schlichten Kündigung erhalten hätte.

Zusätzlich klärte der EuGH einige weitere zentrale Fragen im Zusammenhang mit dem Rücktritt bei Lebens- und Rentenversicherungen, die wir im Folgenden für Sie zusammenfassen.

Urteil

Dreh- und Angelpunkt der Entscheidungen waren die bis vor einigen Jahren noch geltenden Richtlinien zum Rücktritt bei Lebens- und Rentenversicherungen. Die Verträge verschiedener Lebensversicherer wurden durch den EuGH nun aufgrund fehlerhafter oder gar gänzlich fehlender Rücktrittsbelehrungen auf den Prüfstand gestellt.

Kein Rücktrittsrecht bei Schriftformvorgabe

Viele Versicherer haben in ihren Belehrungen vorgeschrieben, dass der Versicherungsnehmer seinen Rücktritt in Schriftform abzugeben habe. Die nationalen Vorschriften erlaubten jedoch auch eine formfreie Rücktrittserklärung in Textform.

Die Luxemburger Richter entschieden, dass in diesem Fall die Rücktrittsfrist dennoch bereits mit Vertragsabschluss zu laufen beginnt und dem Versicherungsnehmer kein „ewiges“ Rücktrittsrecht zusteht. Dies gilt allerdings nur dann, wenn der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht unter denselben Bedingungen ausüben kann.

Rücktrittsrecht auch bei anderweitiger Kenntnisnahme

In vielen Fällen haben Versicherer ihren Kunden gar keine Rücktrittsbelehrung erteilt. Eine Rückabwicklung der betreffenden Verträge lehnten sie dennoch ab. Sie begründeten ihre Meinung damit, dass der Verbraucher anderweitig Kenntnis von seinem Rücktrittsrecht erlangt und damit ohnehin über sein Lösungsrecht Bescheid gewusst habe.

Der EuGH wies diese Argumentation der Versicherer zurück. Er sprach den Verbrauchern in diesem Fall ein weiterhin bestehendes Rücktrittsrecht zu. Die Richter gingen nämlich davon aus, dass der Versicherer sonst nicht ausreichend motiviert sei, seinen Verpflichtungen zur ordnungsgemäßen Belehrung nachzukommen.

Dies gilt übrigens auch dann, wenn der Verbraucher tatsächlich auf anderem Weg von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hatte. Ausschlaggebend ist demnach ausschließlich eine im jeweiligen Versicherungsvertrag vorhandene Belehrung.

Rücktrittsrecht auch nach Kündigung

Hat der Verbraucher seinen Versicherungsvertrag bereits gekündigt und den Rückkaufswert erhalten, wehren sich viele Versicherer, wenn anschließend der Rücktritt durch den Versicherungsnehmer erklärt wird.

Der EuGH stellte nun jedoch klar, dass ein Versicherungsnehmer auch nach einer bereits erklärten Kündigung sein Rücktrittsrecht weiterhin ausüben und somit noch einen finanziellen Nachschlag von seiner Versicherung verlangen kann.

Höhe des Zahlungsanspruchs

Einige Versicherer haben im Falle eines Rücktritts lediglich den Rückkaufswert der Versicherungspolice ausgezahlt. Das ist definitiv zu wenig. Den Rückkaufswert hätte der Versicherungsnehmer jedoch ohnehin auch bereits bei einer Kündigung erhalten.

Österreichische Versicherer wähnten sich mit dieser minimalen Auszahlregelung auf der sicheren Seite. Denn es galt eine nationale Regelung, nach der Versicherer bei einem Rücktritt eben nur den Rückkaufswert auszahlen mussten.

Die Luxemburger Richter sahen diese nationalen Vorschriften jedoch als mit den Richtlinien der Europäischen Union unvereinbar an. Diese Bestimmungen, die für die Versicherer ein Segen waren, kollidierten mit dem Gedanken eines fairen Verbraucherschutzes. Sie benachteiligen den Verbraucher und sind daher unwirksam.

Die Versicherer sind im Falle eines Rücktritts vielmehr dazu verpflichtet, die gesamten vom Versicherungsnehmer gezahlten Beiträge zurückzuerstatten. Lediglich ein vergleichsweise geringer Wert für den vom Verbraucher genossenen Versicherungsschutz ist dabei abzugsfähig.

Verjährung von Zinsen

Versicherungsnehmer, die von ihrem Versicherungsvertrag zurücktreten, haben grundsätzlich auch einen Anspruch auf die Zinsgewinne, die der Versicherer mit den eingezahlten Prämien erwirtschaftet hat.

Der EuGH hatte in diesem Zusammenhang darüber zu befinden, ob nationale Regelungen zulässig sind, nach denen diese Ansprüche auf Zinsen innerhalb von drei Jahren verjähren. 

Dem stimmte der EuGH zu und entschied, dass eine dreijährige Verjährungsfrist bei Vorhandensein von entsprechenden nationalen Regelungen möglich sind. Doch auch hier gilt wieder der einschränkende Zusatz, dass dies nur gilt, wenn der Versicherungsnehmer in der Ausübung seines Rücktrittsrechts dadurch nicht beeinträchtigt wird. 

Fazit

Die Entscheidungen des EuGH zeigen, dass der Rücktritt und die damit verbundene Rückabwicklung einer Lebens- oder Rentenversicherung für den Verbraucher meist lukrativer als eine schlichte Kündigung sind.

Der Versicherer hat nämlich in diesem Fall nicht nur den Rückkaufswert (unter Abzug seiner Abschluss- und Verwaltungskosten) auszuzahlen, sondern dem Versicherungsnehmer sämtliche eingezahlten Beiträge zu erstatten.

Hiervon abzuziehen ist ein – vergleichsweise niedriger – Betrag für den erhaltenen Versicherungsschutz (Todesfall, Berufsunfähigkeit). Zusätzlich erhält der Versicherungsnehmer das, was der Versicherer während der schwebend unwirksamen Vertragslaufzeit mit den Beiträgen des Versicherungsnehmers erwirtschaftet hat (sog. Nutzungen).

So erhält der Verbraucher sein Kapital aus der wenig rentierlichen Lebens- oder Rentenversicherung zurück und kann es anschließend sinnvoll für seine Altersvorsorge nutzen. Er muss sich außerdem keine Sorgen machen, wenn es aktuell in den Finanznachrichten heißt, dass die Situation von Lebensversicherern immer prekärer wird.

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Beitrag vom 07.08.2020

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